Musik wirkt nach außen und berührt das Innerste. Sie macht uns lächelnd, rührt uns zu Tränen und kann uns zu Power verhelfen. Sogar als therapeutische Kraft wird sie von Psychologen und Medizinern eingesetzt.
Musik prägt uns deshalb von Geburt an und erschafft dabei Bilder. Nicht immer sind sie schön oder richtig. Vor allem, wenn als Musikthema Menschen mit Behinderung gewählt wird. Viele Stars haben sich kreativ in diese Richtung eingebracht und mit schönen Liedern die Welt begeistert. Einige sind sehr gelungen. Unbewusst wurden in manchen Liedertexten aber auch gesellschaftliche Einstellungen mit klischeehaften Bildern aufgezeigt. Unbeabsichtigt wurden damit auch Vorurteile genährt, obwohl eigentlich genau das Gegenteil beabsichtigt war.
proroba stellt Euch jede Woche einen Song vor, der sich mit dem Thema Menschen mit Behinderung auseinandersetzt.
Wie wirken die Texte auf Euch, wenn man sie gezielt auf Klischees betrachtet? Wir sind sehr gespannt auf Eure Blickwinkel, Analysen und Meinungen.
Sehr gerne nehmen wir Anregungen zu Musiktiteln, die Euch gefallen oder missfallen auf.
Heute haben wir für euch: Reinhard Mey – Kaspar
Reinhard Mey, Kaspar, auf Youtube
Kaspar, Reinhard Mey
Sie sagten, er käme von Nürnberg her und er spräche kein Wort.
Auf dem Marktplatz standen sie um ihn her und begafften ihn dort.
Die einen raunten: „Er ist ein Tier!“,
Die andern fragten: „Was will der hier?“
Und dass er sich doch zum Teufel scher‘. „So jagt ihn doch fort! So jagt ihn doch fort!“
Sein Haar in Strähnen und wirre, sein Gang war gebeugt.
„Seht, dieser arme Irre ward vom Teufel gezeugt.“
Der Pfarrer reichte ihm einen Krug
Voll Milch, er trank in einem Zug.
„Er trinkt nicht vom Geschirre, den hat die Wölfin gesäugt! Den hat die Wölfin gesäugt!“
Mein Vater, der in uns‘rem Orte Schulmeister war,
Trat zu ihm hin, trotz böser Worte rings aus der Schar;
Er sprach zu ihm ganz ruhig, und
Der Stumme öffnete den Mund
Und stammelte die Worte: „Heiße Kaspar. Heiße Kaspar.“.
Mein Vater brachte ihn mit nach Haus, „Heiße Kaspar!“
Meine Mutter wusch seine Kleider aus und schnitt ihm das Haar.
Sprechen lehrte mein Vater ihn,
Lesen und schreiben, und es schien,
Was man ihn lehrte, sog er in sich auf – wie gierig er war! Wie gierig er war!
Zur Schule gehörte derzeit noch das Üttinger Feld,
Kaspar und ich, wir pflügten zu zweit, bald war alles bestellt;
Wir hegten und pflegten jeden Keim,
Brachten im Herbst die Ernte ein,
Von den Leuten vermaledeit, von ihren Hunden verbellt. Von ihren Hunden verbellt.
Ein Wintertag, der Schnee lag frisch, es war Januar.
Meine Mutter rief uns: „Kommt zu Tisch, das Essen ist gar!“
Mein Vater sagte: „Appetit“,
Ich wartete auf Kaspars Schritt,
Mein Vater fragte mürrisch: „Wo bleibt Kaspar? Wo bleibt Kaspar?“
Wir suchten, und wir fanden ihn auf dem Pfad bei dem Feld.
Der Neuschnee wehte über ihn, sein Gesicht war entstellt,
Die Augen angstvoll aufgerissen,
Sein Hemd war blutig und zerrissen.
Erstochen hatten sie ihn, dort am Üttinger Feld! Dort am Üttinger Feld!
Der Polizeirat aus der Stadt füllte ein Formular.
„Gott nehm‘ ihn hin in seiner Gnad“, sagte der Herr Vikar.
Das Üttinger Feld liegt lang schon brach,
Nur manchmal bell‘n mir noch die Hunde nach,
Dann streu‘ ich ein paar Blumen auf den Pfad, für Kaspar. Für Kaspar…