(Beispielhafte Darstellung) Foto: Pixabay
Ja… Was macht man mit frischen 18 Jahren nach G8 Folter und Eltern im Nacken, die wollen dass man weiß, wohin man nach dem Abitur möchte. „Alle wissen, was sie beruflich machen wollen nur du mal wieder nicht!“
Mal wieder also…
Eine Freundin teilte mir mit, dass man ein Freiwilliges Soziales Jahr machen kann „so um die Zeit zu überbrücken“ – Gute Idee! Eltern stolz, weil man beschäftigt ist, man verdient ein paar Euros, nette Arbeitszeiten, man muss nicht lernen – das muss der Himmel sein.
Ich wurde einer Förderschule für geistige Entwicklung zugeteilt und hatte wirklich keine Ahnung, was dort auf mich wartet. Ich, in „Sonntagskleidung“, betrat das Klassenzimmer mit einem mulmigen Gefühl. Was wird mich erwarten? Werden sie mich mögen? Dass das alles mein kleinstes Problem sein würde, ahnte ich noch nicht, bis mir der erste Stuhl entgegen flog und mich aus den Gedanken riss. Eine Lehrerin versuchte, ein autistisches Mädchen festzuhalten, die wie wild um sich trat und dabei Gegenstände durch das Klassenzimmer wirbelte. „Sie ist neu hier in der Klasse.“, sagte die Lehrerin. Ich schaute mich um und entdeckte einen kleinen Jungen, der summte und dabei die ganze Zeit seinen Kopf hin und her bewegte. Doch viel Zeit zum Umschauen blieb mir nicht. „Setz‘ dich lieber hin, sonst kommt der nächste Stuhl“, sagte die Lehrerin ganz trocken. Ich konnte kaum verstehen, wie sie das so neutral sagen konnte.
Völlig entsetzt und verwirrt setzte ich mich vor die Tafel, um im Sichtfeld zu bleiben, bis die Lehrerin sagte, ich solle mich doch neben das Mädchen setzen.
Sofort geriet ich in Panik, aber wollte mir das doch nicht ansehen lassen – „Hey hier geht es doch um das schnelle Geld und nicht lernen“, sagte ich mir im Kopf.
Angespannt tauschte ich mit der Lehrerin den Platz und dann ging es los…
Ich habe viele blaue Flecken davon getragen, mir den kleinen Finger von einem Jungen brechen lassen, habe sämtliche Krankheiten durchlebt, kann das Pflege-Alphabet hoch und runter beten — aber das, was wirklich zählt, ist dass das FSJ in der Schule für geistige Entwicklung das schönste Jahr meines bisherigen Lebens war. Ich habe so viele neue Erfahrungen gesammelt, habe mich verändert, weil ich mein Leben überdacht habe und ich habe neue Freunde gefunden, die mir so unfassbar ähnlich sind. Egal ob Lehrer oder andere Freiwillige, irgendwie waren wir alle immer eine Einheit.
Wir haben gelacht, geweint und auch gekämpft, aber Aufgeben war nie eine Option gewesen. Im Gegenteil – man bekam das Gefühl, gebraucht zu werden, gemocht zu werden – zuhause zu sein.
Das besagte autistische Mädchen betreue ich noch heute in meiner Freizeit. Sie ist nicht nur mein „Schwebi“ gewesen, sondern ist auch zu meiner Freundin geworden. Sie und zwei weitere schwerbehinderte Kinder waren wie mein Schatten. Egal ob Pflege oder Aktivitäten, überall waren sie auf meine Hilfen angewiesen – sowie auch die Klasse selbst.
Eine Klasse besteht aus maximal 13 Kindern, davon 3 Schwerbehinderte. Ohne Freiwillige ist es für die Schulen oft sehr schwer umsetzbar, mit den fitteren Kindern einen ruhigen Unterricht gewährleisten zu können.
Ich habe viel mit den Kindern gespielt, unterstützt beim Lernen und tolle Ausflüge und sogar eine Übernachtung miterlebt. In dieser Schule habe ich gelernt wie nah Leid und Glück aneinander liegen. Ich habe diese Schule immer „mein Narnia“ genannt. Warum? Ganz einfach – hier war vieles sehr anders.
Oft wurde ich gefragt, ob es nicht „Zeitverschwendung“ gewesen ist. Nein, ich würde es immer wieder tun. Jetzt weiß ich nämlich, wo ich hingehöre und deshalb studiere ich nun Soziale Arbeit dual. Noch nie zuvor habe ich einen Ort kennen gelernt, an dem man so viel Dankbarkeit und Wärme erfährt.