(ein Kommentar von Frank Müller)
Gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion sind große Themen unserer Zeit. Auch deshalb, weil noch sehr viel erreicht werden muss. Barrierefreiheit ist ein Beispiel dafür, dass viele Dinge einfach immer noch nicht zur Normalität gehören. Meist wird sich darum bemüht, Barrierefreiheit als Qualitätsmerkmal hinzustellen — mit mäßigem Erfolg. Ilse Aigner von der CSU vermutete auf dem Bayerischen Tourismustag im vergangenen Jahr, dass der Begriff Barrierefreiheit für viele einfach „nicht so sexy“ ist. Wenn die Verführung zur Barrierefreiheit aus diesem Grund nicht gelingt, so versucht die Politik, verstärkt Bewegung in das Thema mit dem Lockruf des Geldes zu bringen. Auch wenn Barrierefreiheit erst einmal durch den Einsatz von Geld geschaffen werden muss, so schätzt das Bundeswirtschaftsministerium allein im Bereich Tourismus mit bis zu 4,8 Milliarden Euro Nettoumsatz durch Menschen mit Behinderung. 90.000 Arbeitsplätze könnten geschaffen werden, wenn die Zielgruppe von rund zehn Millionen Menschen in Deutschland erschlossen werden würde.
Staatliche Förderprojekte und der Einsatz von Verbänden, Vereinen und Beauftragten haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass Barrierefreiheit zwar eine Aufwertung erfahren hat, doch in der Summe ist das Ergebnis mangelhaft.
Das ist umso überraschender, weil wir eigentlich alle von Barrierefreiheit profitieren. Angesichts der demografischen Entwicklung ist schon heute ein großer Teil aller Hotelgäste älter als 55 Jahre. Und die Tendenz ist weiter steigend. Bei Hoteliers und in der Gastronomie sind die Vertreter dieser Altersgruppe beliebt. Gelten sie doch als besonders konsumfreudig, auch wenn sie oft mehr Aufmerksamkeit und Service brauchen. Da gibt es mobile Einschränkungen oder es wurde einfach nur die Lesebrille vergessen und das Servicepersonal muss die Speisekarte vorlesen.
Hoteliers und Gastronomen erkennen erfreulicherweise immer häufiger, dass eine Rampe zwar Geld kostet, aber am Ende nicht nur Rollstuhlfahrer profitieren. Kinderwagen, Koffer, Fahrräder … vieles kann viel bequemer hochgeschoben werden. Außerdem wird die allgemeine Stolpergefahr deutlich minimiert.
Ein Beispiel dafür, dass Barrierefreiheit für alle ein Gewinn ist, zeigt der Ausbau der Nebelhornbahn in Oberstdorf. Früher gab es nur einen schmalen Pfad von der Bergstation zum Gipfel. Für viele waren die Stufen ein Problem. Nachdem diese zurückgebaut waren und der Weg verbreitert und befestigt war, kamen auch immer mehr Familien mit Kindern. Das Ergebnis: Kein Wanderweg in der Region wird besser besucht.
Ein Beispiel für gute Vernetzung im Sinne von Barrierefreiheit. Denn, mal ganz ehrlich, was hat man von einem barrierefreien Hotel, wenn keine barrierefreien Angebote in der Region vorhanden sind?
Teilhabe und 4,8 Milliarden Euro netto wird es halt erst geben, wenn Barrierefreiheit Normalität ist.
Text: F. Müller
Bild: Pixabay